Version v0.8

Vortrag: Geschlechtsassoziationen bei maskulinen Personenbezeichnungen und Indefinitpronomina

Aktuell bestimmt die Debatte um geschlechtergerechten Sprachgebrauch den öffentlichen Diskurs. Diskutiert wird u. a. das sogenannte generische bzw. geschlechtsübergreifende Maskulinum (GM), d. h. maskuline Personenbezeichnungen (PB), die verwendet werden, wenn a) das Geschlecht der referierten Personen irrelevant ist, b) auf gemischtgeschlechtliche Gruppen referiert oder c) verallgemeinert wird (vgl. KLANN-DELIUS 2005: 26). Bei der Personenreferenz mit GM kann es zu Verwirrungen kommen, denn „[g]eschlechtsübergreifende und geschlechtsspezifische maskuline Personenbezeichnungen sind homophon (synkretistisch), d. h. sie unterscheiden sich formal in nichts“ (KOTTHOFF/NÜBLING 2018: 96). Die Lehrer könnte daher sowohl eine rein männliche Gruppe (geschlechtsspezifisch) als auch eine gemischtgeschlechtliche Gruppe (geschlechtsübergreifend) von Lehrkräften bezeichnen.

Ob beim sog. GM neben männlichen Assoziationen auch weibliche ausgelöst werden, wurde schon in zahlreichen Studien erforscht (u. a. DE BACKER/DE CUYPERE 2012, FERSTL/DIETSCHE 2016, GYGAX ET AL. 2008, HEISE 2000, IRMEN/KÖHNCKE 1996, IRMEN/ROßBERG 2004, 2006, ROTHMUND/SCHEELE 2004, STAHL- BERG/SZCESNY 2001). Einige Ergebnisse sind: Das sog. GM hat eine männliche Schlagseite, d.h. die weib- lichen und männlichen Geschlechtsassoziationen sind nicht ausgeglichen, denn es ruft mehr Männer als Frauen auf; die kognitive Verarbeitung einer Frau durch das sog. GM dauert länger als die eines Mannes; generische Formen werden (insb. im Singular) nicht geschlechtsübergreifend verstanden.

Nach KOTTHOFF/NÜBLING 2018 gibt es einige grammatische und semantisch-lexikalische Faktoren (u. a. Numerus, Berufs- vs. Rollenbezeichnung), die die Geschlechtsgenerizität bei Maskulina beeinflussen könnten. Das im Juni 2021 gestartete genderlinguistische Projekt „Geschlechtsassoziationen bei maskulinen Personenbezeichnungen und Indefinitpronomina“ widmet sich erstmalig schwerpunkt- mäßig der Untersuchung dieser Faktoren. Zentral ist die Beantwortung der Frage, welche gramma- tischen und semantisch-lexikalischen Faktoren die Geschlechtsassoziationen maskuliner PB beeinflussen. Neben den PB sollen außerdem Indefinitpronomina untersucht werden, d. h. sowohl flektierte (z. B. jeder) als auch unflektierte (z. B. jemand). Mittels der Manipulation der ausgewählten Faktoren soll durch das Projekt eine erstmalige grammatisch differenzierte Untersuchung von masku- linen PB und Indefinitpronomina hinsichtlich ihrer Geschlechtsassoziationen erfolgen. Im Vortrag wer- den nach einem knappen thematischen Überblick die untersuchten Faktoren inklusive theoretischem Rahmen, die Hypothesen sowie die angestrebten Methoden vorgestellt.

Literatur

DE BACKER, M./DE CUYPERE, L. (2012): The interpretation of masculine personal nouns in German and Dutch: A comparative experimental study. In: Language Sciences 34, 253– 268.
FERSTL, E. C./DIETSCHE, L. (2016): „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!“ How grammatical gender influences representations of discourse referents. In: BARKOWSKY, T./LLANSOLA, Z. F./SCHULTHEIS, H./VAN DE VEN, J. (Hgg.): KogWis 2016: Proceedings of the 13th Biannual Conference of the German Cogni- tive Science Society Bremen (Universität Bremen), 15– 18.
GYGAX, P./GABRIEL, U./SARRASIN, O/OAKHILL, J./GARNHAM, A. (2008): Generically intended, but specifi- cally interpreted: When beauticians, musicians and mechanics are all men. In: Language and Cognitive Processes 23, 464–485.
HEISE, E. (2000): Sind Frauen mitgemeint? Eine empirische Untersuchung zum Verständnis des generischen Maskulinums und seiner Alternativen. In: Sprache & Kognition 19 (1/2), 3–13.
IRMEN, L./KOHNCKE, A. (1996): Zur Psychologie des „generischen“ Maskulinums. In: Sprache & Kognition 15 (3), 152–166.
- /ROßBERG, N. (2004): Gender markedness of language. The impact of grammatical and nonlinguistic information on the mental representation of person information. In: Journal of Language and Social Psychology 23 (3), 272–307.
- /ROßBERG, N. (2006): How formal versus semantic gender influences the interpretation of person denotations. In: Swiss Journal of Psychology 65 (3), 157–165.
KLANN-DELIUS, G. (2005): Sprache und Geschlecht. Stuttgart.
KOTTHOFF, H./NÜBLING, D. (2018): Genderlinguistik. Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht. Tubingen.
STAHLBERG, D./SCZESNY, S. (2001): Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprach- formen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. In: Psychologische Rundschau 52, 131–140.

Info

Tag: 25.09.2021
Anfangszeit: 14:10
Dauer: 00:40
Raum: Don Giovanni

Sprache: de

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