Vortrag: Von Sprachkontakt und Zweckentfremdung: die Entwicklung des baskischen definiten Artikels
Die morphologische Markierung von Definitheit mittels Artikeln ist häufig ein areales Merkmal, das auch von genetisch nicht verwandten Sprachen innerhalb eines Gebiets geteilt wird. Ein solches Areal stellen Westeuropa und der Mittelmeerraum dar, wo neben verschiedenen indogermanischen und semitischen Sprachen auch Baskisch als isolierte Sprache einen definiten, ebenso wie einen indefiniten, Artikel besitzt. Der definite Artikel ist stärker grammatikalisiert, er wird an das letzte Element der Nominalphrase suffigiert und hat mehrere kasusabhängige Allomorphe. Auffällig ist, dass er nur in wenigen Kontexten tatsächlich auf definite NPs beschränkt ist. In allen anderen Kontexten tritt er auch mit non-spezifischen (nicht aber mit spezifischen!) indefiniten NPs auf, ebenso findet man ihn an prädikativen Adjektiven. Diese Verwendung des baskischen definiten Artikels ist semantisch nur begrenzt erklärbar und weicht auch von dem üblichen Grammatikalisierungspfad für definite Artikel ab. Tatsächlich ist der Gebrauch eher morphosyntaktisch als semantisch motiviert und der Verlauf der Grammatikalisierung wurde sowohl von sprachinternen morphosyntaktischen Faktoren als auch von romanischer Interferenz beeinflusst.
Im heutigen Baskisch sind bare nouns, also Substantive oder NPs ohne Determinierer, sehr eingeschränkt und nicht einmal als Zitierform zulässig. Um zu vermeiden, dass eine NP bare ist, erhalten alle NPs, die keinen anderen Determinierer haben, den sogenannten definiten Artikel. Der Beginn dieser Entwicklung ist bereits in Wortlisten aus dem 12. Jahrhundert bezeugt. Dabei scheint zumindest in den Anfängen die Tatsache eine Rolle gespielt zu haben, dass Baskisch anders als seine romanischen Kontaktsprachen Numerus nicht an Nomen, sondern nur an Determinierern markiert und die Suffigierung des Artikels eine Numerusmarkierung ermöglicht, die der der romanischen Sprachen sehr ähnlich ist.
Der baskische definite Artikel ist also ein interessanter Fall einer nicht gradlinig verlaufenen Grammatikalisierung. Auch wenn seine Verwendung synchron ein überraschendes Muster aufweist, lässt sich dieses durch die Interaktion verschiedener Faktoren im Laufe seiner Entwicklung vollständig erklären.
Info
Tag:
26.05.2022
Anfangszeit:
15:00
Dauer:
00:30
Raum:
Schuurman (1.22)
Track:
Typology and Variational Linguistics
Sprache:
de
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ReferentInnen
Silvie Strauß |