Vortrag: Wie Menschen in laufende Gespräche einsteigen
Eine konversationsanalytische Untersuchung natürlicher Interaktion
Wie gelingt es Menschen, erfolgreich in bereits laufende Interaktionen einzusteigen? Diese Frage wurde zuvor kaum linguistisch untersucht, auch wenn die theoretische Grundlage seit 1979 in Goffmans Participation framework besteht. Dieses erfasst auch Anwesende, die keine ratifizierten Gesprächsteilnehmenden sind, aber dennoch als Overhearer der Interaktion zuhören. Anhand von Videodaten aus einem Friseursalon wurden Fälle, in denen solche Overhearer in laufende Interaktionen einsteigen, mit dem Zugang der Ethnomethodologischen Konversationsanalyse und Interaktionalen Linguistik untersucht. Anhand detaillierter Sequenzanalysen wurden sprachliche Methoden für einen Gesprächseinstieg herausgearbeitet. Der Vortrag kontrastiert einen gelungenen Gesprächseinstieg mit einem Fall, bei dem der Versuch scheitert und der zeigt, dass so ein Einstieg kein Selbstläufer ist, sondern tatsächlich funktionale Methoden dafür nötig sind.
Der Vortrag beschäftigt sich mit einem Thema, das vielen aus dem Alltag bekannt sein dürfte: Wie steigen Menschen, die zuvor nur passiv zugehört haben, in eine bereits laufende Interaktion ein? Solche Szenarien sind zwar in der Realität häufig anzutreffen, passen aber nicht recht in das traditionelle Schema aus ‚Sprecher‘ und ‚Hörer‘. Daher wurde für die vorgestellte Untersuchung das Participation framework von Erving Goffman (1979) zugrunde gelegt, das auch die sozialen Kontexte von Interaktionen in den Blick nimmt, in denen auch andere, nicht ratifizierte Anwesende als Overhearer zuhören und in Gespräche einsteigen können. Solche Gesprächseinstiege wurden allerdings noch nicht empirisch untersucht, im Gegensatz zu Turnübernahmen ratifizierter Interagierender (Ford 2008, Mondada 2012).
Die vorgestellte Untersuchung hat daher zum Ziel, anhand authentischer Videodaten sprachliche Formen zu identifizieren, die bisherige Overhearer für die Funktion des Gesprächseinstiegs einsetzen. Die Daten stammen aus einem Friseursalon mit zwei nebeneinanderliegenden Schneideplätzen, sodass das Setting durchaus Voraussetzungen für Gesprächseinstiege bietet; es handelt sich aber um eine natürliche Interaktionssituation ohne künstlichen Eingriff. Die Daten wurden mit den Zugang der Ethnomethodologischen Konversationsanalyse und Interaktionalen Linguistik ausgewertet. Dabei wurden auch nichtsprachliche Ressourcen wie Blick und Gestik in die Analyse einbezogen. Detaillierte Sequenzanalysen ergaben verschiedene sprachliche Methoden für Gesprächseinstiege, die auch in anderen interaktionalen Situationen genutzt werden. Dabei unterscheidet sich jedoch der sequenzielle Ablauf von einer typischen Verwendung, sodass eine Anpassung der Praktiken an den Kontext des Gesprächseinstiegs erkennbar wird. Im Vortrag wird anhand der Daten eine dieser Methoden exemplarisch vorgestellt. Dass solche Methoden entscheidend für den Erfolg eines Gesprächseinstiegs sind, zeigt der Vergleich mit einem Fall, bei dem ein intendierter Interaktionseinstieg scheitert. Dieser wird ebenfalls im Vortrag präsentiert. Die Untersuchung erschließt so ein fruchtbares Forschungsfeld, dem in der Linguistik bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde, das aber durchaus Einblicke in die Organisation von sozialer Partizipation und Interaktion bieten kann.
Info
Tag:
26.05.2022
Anfangszeit:
15:00
Dauer:
00:30
Raum:
Eisenga (2.32)
Track:
Applied Linguistics
Sprache:
de
Links:
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ReferentInnen
Patricia Linnemann |