Vortrag: "Bullshitting" aus einer metapragmatischen Perspektive

Alles nur „heiße Luft“ oder eine (machtvolle) multimodale Mimikry-Kommunikationspraktik?

Der folgende Vortrag soll eine Art Plädoyer und Anregung zur Erforschung des sozial-sprachlichen Phänomens "Bullshit" bzw. "Bullshittings" sein. Das Konzept, dass große Aufmerksamkeit durch den Artikel von Harry Frankfurt On Bullshit (2005) erhielt, soll vorgestellt und auf zwei Dimensionen hin skizziert werden. Anschließend werden Fragen zu methodischen Untersuchungsmöglichkeiten aufgeworfen, die im Plenum weitergeführt und diskutiert werden sollen. Ziel und Zweck dieser Diskussion soll es sein, meine Ideen zu diesem Thema durch andere und weitere Meinungen, Kritikpunkte und Anmerkungen zu verbessern, aber vor allem soll es ein Aufruf sein, an die sprachwissenschaftliche Community, dieses (aktuelle) soziale Problem nicht nur der Philosophie zu überlassen.

Beginnend mit einer kurzen allgemeinen Einführung in das Thema folgt die Konzipierung von Bullshitting als eine metapragmatische Praktik, die die Janus-Köpfigkeit dieses zweischneidigen Schwertes verdeutlichen kann. Zunächst im Lichte des strukturalistischen Sprachfunktionsmodells von Roman Jacobson (1960) erscheint Bullshitting als par excellence Ausdruck der poetischen Funktion. Dann folgt die Perspektivierung aus einer interaktionalen metapragmatischen Perspektive. Ich beschreibe Bullshitting als den Versuch, sich einem (noch „fremden“) Sprachregime und sozialen Kontext mittels multimodaler und sprachlicher Mimikry in einer bestimmten Art und Weise zu positionieren. Diese bestimmte Art der Positionierung hat das Ziel oder erfüllt den Zweck eine anerkannte, normrichtige und machtvolle Position in einer konkreten Interaktion innerhalb eines bestimmten Sprachregimes einnehmen zu können. Dieser Selbstpositionierungsakt kann beispielsweise die mögliche eigene Machtlosigkeit und die damit noch nicht anerkannte feste soziale Position in diesem sozialen Feld verschleiern. Ich werde ein Literatur-Beispiel zur Illustration kurz vorstellen. In der Interaktion, die stets ein nicht machtfreies meaning-making inkludiert, kann Bullshitting auch als reine Machtdemonstration oder Positionierungsverfestigung gebraucht werden. Da es auf inhaltlicher Ebene schwer ist, argumentativ Kritik zu äußern, kann es aus meiner Sicht zu einem Ohnmachtsgefühl auf der gegenüber liegenden Interaktionsseite führen. Nicht nur die Bullshit-Position, sondern auch die Meinungen und Denkvorstellungen werden durch das Missglücken möglicher argumentativer Interaktionen auf der gegenüber Seite zu einer möglichen durchsetzungsfähigen und schwer kritisier- und kontextualisierbare Position in einem (öffentlichen) Diskurs erhoben. Denn die Behauptungen und sprachlichen Handlungen des Bullshittings bewegen sich außerhalb eines korrektiven und diskursabhängigen „Richtig“ und „Falsch“.
In beiden Fällen bleibt das Risiko bestehen, dass diese Handlungen missglücken. Ob man die „leeren Äußerungen“ akzeptiert oder nicht, ist abhängig von der jeweiligen Gesprächssituation/-kontext und den Gesprächsteilnehmer*innen. Es ist ein deutlicher Unterschied, ob nun die bullshittende Person beispielsweise ein*e renommierte*r Professor*in oder ein*e unbekannte*r Student*in ist.
Dieser Ansatz kann nicht nur produktiv sprachwissenschaftlich untersucht werden, sondern zeigt auch seine Grenzen. Gerade die Einordnung und Bestimmung von Sachverhalten/Interaktionen als Bullshit können Ausdruck bestimmter (Sprach)ideologien sein und daher eher das Bedienen normativer Sprachbilder begünstigen und damit selbst metapragmatische Handlungen sein.
Diese Skizzierung möchte ich mit Fragen zur methodischen Untersuchungsmöglichkeiten an das Plenum beenden: Wie kann dem Phänomen gerecht begegnet werden? Welche Theorien und Methoden können erkenntnisreiche Einblicke in den Gebrauch und Aufkommen von Bullshitting geben? (Kann Bullshitting ein Akt der Selbstpositionierung sein, aufgrund mangelnder Möglichkeiten seine eigene Voice zu finden/zu erhalten? Kann ein ethnographischer Zugang helfen, weitere Facetten des Phänomens zu erfassen?)
Schließlich entscheiden wir mit der Methode und Fragestellung, wie wir dem Gegenstand begegnen und was wir daraus schließen können.

Info

Tag: 05.11.2022
Anfangszeit: 10:15
Dauer: 00:30
Raum: Wiwi-Bunker —Room 3018
Track: Sociolinguistics
Sprache: de

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