Version 22-03-8

Vortrag: Zur diskursiven "Erfindung" 'der' Gendersprache

Zur diskursiven „Erfindung“ der Gendersprache

Das Thema gendergerechter Sprachgebrauch (ggS) ist seit geraumer Zeit in verschiedensten Kontexten Gegenstand von teils stark emotionalisierten und polarisierten Debatten. Dabei wird immer wieder auch mit definiten Artikeln von dem „Gendersprech“ oder dem „Gendern“ (z. B. Krischke 2021; Payr 2021) gesprochen, als handele es sich dabei um eine eigene Sprachform.
Ziel des Vortrags soll sein, eine Methode zur Rekonstruktion ebendieser definiten (Sprach-)Konstruktionen und damit einhergehenden Zuschreibungen sowie der vorherrschenden Argumentationsmuster rund um Bewertungen ggS zu entwickeln. Dafür wird auf Spitzmüllers (2013) Modell der metapragmatischen Positionierung zurückgegriffen. Während Spitzmüller (2013: 283) aber in seinem Modell am Beispiel der Internetsprache von einem Sprachgebrauch spricht, der bereits als „interpretatives Konstrukt mit einer spezifischen sozialen Bedeutung“ sedimentiert und somit bereits Register, bereits „culture-internal models of personhood linked to speech forms“ (Agha 2007: 135) ist, soll die These ausgeführt werden, dass es sich bei ggS (noch?) nicht um ein stehendes Register handelt, das musterhaft mit sozialen Gruppen verbunden ist. Vielmehr soll, basierend auf einem Pilotkorpus mit Interviews und Diskussionen aus dem Deutschlandfunk, gezeigt werden, dass ablaufende Enregistrierungsprozesse und Bewertungen rund um gendergerechten Sprachgebrauch nahelegen, dass in der Debatte verschiedene, reduzierte und reduzierende Vorstellungen von der Gendersprache zu finden sind, die mit jeweils unterschiedlichen Personen- und Verhaltenstypen assoziiert werden. Diese führen – in Anlehnung an Androutsopoulos (2011) – zur Erfindung der Gendersprache, d. h. der Konstruktion eines „indexikalischen Konstrukts“, dessen Funktion „in erster Linie eine soziopragmatische [ist]. Die Vorstellung einer identifizierbaren ‚Sondersprache‘ ermöglicht soziale Positionierung zu dieser ‚Sondersprache‘ und den mit ihr assoziierten Personen- und Handlungsformen“ (Spitzmüller 2013: 284; Herv. im Orig.). Die verschiedenen, auf den jeweiligen Sprachgebrauch, der als Sondersprache gedacht wird, projizierten Merkmale sind dann die Grundlage für verschiedene pro- und contra-Positionierungen, die wiederum auf die Konstruktionsprozesse zurückwirken (vgl. Spitzmüller/Busch et al. 2021: 6). Inwiefern sich diese wechselseitige Beeinflussung methodisch greifen lässt, soll ein Schwerpunkt des Vortrags sein. Auch andere methodische Fragen für eine diskurslinguistische Untersuchung dieser These(n) sollen im Fokus stehen. So wurden die Bewertungssequenzen bisher vor allem per Toposanalyse ausgewertet; andere Herangehensweisen wie die Kognitive Metapherntheorie oder die Analyse einzelner Lexeme scheinen aber ebenso produktiv. Zudem sollen methodische Fragen nach der Analyse der Enregistrierungsprozesse und solche zur Benennung des Produktes der Prozesse zur Diskussion gestellt werden: Handelt es sich dabei um eine Varietät oder einen Soziolekt? Oder sind andere Begriffe passender?

Literatur

Agha, Asif (2007): Language and Social Relations. Cambridge: Cambridge University Press.

Androutsopoulos, Jannis (2011): Die Erfindung ›des‹ Ethnolekts. In: Z Literaturwiss Linguistik 41 (4), S. 93–120. DOI: 10.1007/BF03379977.

Krischke, Ben (2021): Julia Ruhs: ‚Viele junge Frauen sind gegen das Gendern‘. https://meedia.de/2021/03/15/julia-ruhs-viele-junge-frauen-sind-gegen-das-gendern/; zuletzt 21.01.2022.

Payr, Fabian (2021): Von Menschen und Mensch*innen. Wiesbaden: Springer.

Spitzmüller, Jürgen (2013): Metapragmatik, Indexikalität, soziale Registrierung. Zur diskursiven Kontruktion sprachideologischer Positionen. In: Zeitschrift für Diskursforschung 2013 (3), 263-287.

Spitzmüller, Jürgen; Busch, Brigitta; Flubacher, Mi-Cha (2021): Language ideologies and social positioning: the restoration of a “much needed bridge”. In: International Journal of the Sociology of Language 2021 (272), S. 1–12. DOI: 10.1515/ijsl-2020-0094.

Info

Tag: 25.03.2022
Anfangszeit: 13:15
Dauer: 00:30
Raum: Jamala
Track: Soziolinguistik
Sprache: de

Links:

Feedback

Uns interessiert Ihre Meinung! Wie fanden Sie diese Veranstaltung?

Gleichzeitige Events