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Vortrag: Erklärvideos als Untersuchungsgegenstand für die angewandte Linguistik

Potenziale und Herausforderungen

Im Zuge der COVID-19-Pandemie rückte das Distanzlernen und der damit verbundene Status Quo der Digitalisierung im Bildungssektor in Deutschland in den Vordergrund. Der Lockdown im März 2020 brachte viele Lehrer/innen und Schüler/innen erstmals in digitale Unterrichtsumgebungen. Damit änderten sich sowohl schulische Interaktionsräume als auch die Aufbereitung von Unterrichtsgegenständen hin zu digitalen Angeboten. Mit diesen neuen Lehr- und Lernbedingungen hat die Bedeutung von Erklärvideos für schulisches und außerschulisches Lernen zugenommen. Der Zugriff und die Nutzung bereits erstellter Erklärvideos über Plattformen wie YouTube zu bestimmten Unterrichtsthemen scheint für alle am Distanzlernen beteiligten Personen eine verständliche und logische Konsequenz zu sein. In diesem Zusammenhang ergeben sich Fragen nach Produktion und Rezeption: Zum einen stellt sich u. a. die Frage, wie die Videos rezipiert werden und zum anderen rücken Erklärvideos als Gegenstand in den Fokus, da sie weder einer sachlichen noch einer didaktischen Überprüfung unterliegen.
Forschungsziel des Dissertationsprojektes (Grammatik im Netz – Erklärvideos am Beispiel der Vermittlung der Kasus im Deutschen) ist es, einen ersten deskriptiven Zugriff zu dieser digitalen Lernumgebung zu erarbeiten. Mithilfe exemplarischer qualitativer Videoanalysen soll im Kontext grammatischer Lehr- und Lernprozesse folgenden Aspekten nachgegangen werden: Zunächst gilt es, das Konzept des Erklärens (in Anlehnung an Hohenstein 2006 und Morek 2012) in den digitalen Raum zu übertragen und unter Berücksichtigung der veränderten Kommunikationsbedingungen diesen Erklärraum sprach- und medienwissenschaftlich zu rekonstruieren. Mit Blick auf diesen Erklärraum ist die Verortung des Untersuchungsgegenstandes bezüglich der Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Oesterreicher/Koch 2016) besonders interessant: Die – vor allem im alltagssprachlichen Gebrauch bezeichneten – Erklärvideos bewegen sich innerhalb der konzeptionellen und medialen Schriftlichkeit und Mündlichkeit und können als eine eher untypische Erklärsituation kategorisiert werden. Sie werden darüber hinaus als „hybride Gattung“ (Knopp/Schindler 2021: 56) mit multimodalen Elementen wie Mimik/Gestik, Musik oder auch Sehflächen ergänzt.
Auf Grundlage dieser theoretischen Einordung soll untersucht werden, inwiefern Erklärvideos mit einer spezifischen digitalisierten Wissensprozessierung verknüpft sind: z. B.
- Wie wird der Gegenstand modelliert?,
- Welche Implikationen sind mit der multimodalen Aufbereitung des Gegenstandes verbunden?,
- Welche Inszenierungspraktiken zeigen sich in den Erklärvideos?,
- Wie wird Interaktivität hergestellt?.

Im Vortrag möchte ich anhand meines Dissertationsprojektes erläutern, warum Erklärvideos aus linguistischer Sicht einen vielversprechenden Untersuchungsgegenstand darstellen und welche methodischen Herausforderungen damit einhergehen.

Literatur:

Hohenstein, Christiane (2006): Erklärendes Handeln im wissenschaftlichen Vortrag. Ein Vergleich des Deutschen mit dem Japanischen. München: Iudicium. (= Studien Deutsch, Band 36).

Knopp, Matthias/Schindler, Kirsten (2021): Multimodales Erklären im Deutschunterricht. In: k:ON - Kölner Online Journal für Lehrer*innenbildung k:ON - Kölner Online Journal für Lehrer*innenbildung. S. 51–79.

Morek, Miriam (2012): Kinder erklären. Interaktionen in Familie und Unterricht im Vergleich. Tübingen: Stauffenburg Verlag. (= Stauffenburg Linguistik, Band 60).

Oesterreicher, Wulf/Koch, Peter (2016): 30 Jahre ‚Sprache der Nähe – Sprache der Distanz‘: Zu Anfängen und Ent-wicklung von Konzepten im Feld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. In: Feilke, Helmuth/Hennig, Mathilde (Hrg.): Zur Karriere von ›Nähe und Distanz‹. Berlin/Boston: de Gruyter. S. 11–72. https://doi.org/10.1515/9783110464061-003.

Info

Tag: 26.03.2022
Anfangszeit: 13:00
Dauer: 00:30
Raum: Celan
Track: Semantik/Pragmatik
Sprache: de

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