Version 22-03-8

Vortrag: Das Buch als semiotisch strukturierter (Wissens-)Raum

Mein Dissertationsprojekt, das ich im September 2021 begonnen habe und daher noch in seinen Anfängen steckt, soll in meinem Vortrag vor allem in seinen Grundzügen vorgestellt und hinsichtlich seiner Machbarkeit zur Diskussion gestellt werden. Wissenschaftstheoretisch ist das Projekt im Bereich der (historischen) Kulturlinguistik zu verorten, das heisst, es wird mir im weitesten Sinn darum gehen, zu überlegen, inwiefern sprachliche (im Verbund mit weiteren) Zeichenressourcen zur Konstitution und Organisation kultureller Phänomene beitragen. Namentlich sollen mittelalterliche Codices als semiotisch strukturierte Objekte untersucht werden, wobei zunächst die ‚Oberflächen und Performanzen‘ (Feilke/Linke 2009) dieser Objekte hinsichtlich ihres zeichenhaften Potentials befragt werden sollen. Es rücken also Aspekte des Textdesigns wie Layout, Typographie, Grafik oder Bild ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wobei angenommen wird, dass die formalen Aspekte der Codices mit den semantisch-lexikalischen Inhalten der in diesen enthaltenen Sprachzeichen in Wechselwirkung stehen. Es kann daher die Hypothese formuliert werden, dass bereits die formale Textgestaltung semiotisch ‚signifikant‘ ist und bspw. Rückschlüsse erlaubt auf die (hierarchische) Strukturierung der im Text sprachlich vermittelten Inhalte. Texte enthalten in diesem Sinn ‚Architekturen des Wissens‘ (Antos 2011), die wiederum als Manifestationen kultureller mentaler Modelle ausgedeutet werden können. Umgekehrt heisst das, dass sich kulturell sedimentierte Formen und Vorgänge des Denkens und des Organisierens von Wissen in der Materialität von Texten bzw. Codices niederschlagen. Methodisch bieten sich zur Analyse mittelalterlicher Codices Ansätze aus der (linguistisch fundierten) Semiotik (z.B. nach Pierce, Eco) sowie aus der Text- und Multimodalitätslinguistik an. Es gilt demnach, die in mittelalterlichen Codices identifizierbaren Zeichenressourcen systematisch zu erfassen und in ihrer (immer auch in Wechselwirkung stehenden) Funktionalität zu analysieren. Diesbezüglich stellt sich mir die Frage, mit welchem Zeichenbegriff ich arbeiten kann und welche Zeichenressourcen für mittelalterliche Codices festgemacht werden können. Weiterführend muss ich entscheiden, mit welchem Textkorpus ich arbeiten kann (Umfang, Zeitspanne, Ort, thematische Domäne, Sprache) und in welcher Form ich das Korpus erfassen und ggf. annotieren kann. Auf theoretischer Ebene muss geklärt werden, inwiefern Semiotik als gerade auch linguistische Theorie und Methode eingesetzt werden kann und wie semiotische Ansätze mit solchen aus der Text-/Multimodalitätslinguistik in gewinnbringender Weise vereinbar sind. Nicht zuletzt sollen die folgenden, für mein Dissertationsprojekt möglichen Leitfragen im Rahmen meines Vortrags erläutert und diskutiert werden:
• Wie unterscheidet sich das Textdesign mittelalterlicher Codices in unterschiedlichen Textsorten und/oder aus verschiedenen Zeitperioden?
• Welche unterschiedlichen Wissensordnungen können davon ausgehend in diesen Texten/Codices nachgezeichnet werden?
• Inwiefern lassen sich solche Wissensordnungen als zeichenhafte Manifestationen kultureller, mentaler Modelle interpretieren?

Literatur
Antos, Gerd (2011 [1997]): Texte als Konstitutionsformen von Wissen. Thesen zu einer evolutionstheoretischen Begründung der Textlinguistik. In: Antos, Gerd/Tietz, Heike (Hrsg.): Die Zukunft der Textlinguistik: Traditionen, Transformationen, Trends. Berlin: Niemeyer, S. 43–64.

Feilke, Helmuth/Linke, Angelika (Hrsg.) (2009): Oberflächen und Textperformanz. Berlin: De Gruyter (= Reihe Germanistische Linguistik 283).

Johnston, Michael/Van Dussen, Michael (Hrsg.) (2015): The Medieval Manuscript Book. Cultural Approaches. Cambridge: Cambridge University Press.

Klug, Nina-Maria/Stöckl, Hartmut (Hrsg.) (2016): Handbuch Sprache im multimodalen Kontext. Berlin: De Gruyter (= Handbücher Sprachwissen 7).

Spitzmüller, Jürgen (2013): Graphische Variation als soziale Praxis. Eine soziolinguistische Theorie skripturaler ›Sichtbarkeit‹. Berlin: De Gruyter.

Info

Tag: 25.03.2022
Anfangszeit: 13:15
Dauer: 00:30
Raum: Celan
Track: Semantik/Pragmatik
Sprache: de

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