Version 22-03-8
Vortrag: Areale Variation im Mittelhochdeutschen: Methodologische und quantitative Aspekte
Prof. Dr. Oliver Schallert, LMU München
Auf Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300, einer großen,
elektronisch verfügbaren Sammlung mittelhochdeutscher Urkunden (CAO 1–5) demonstriere ich,
dass dieser Quellentyp hochauflösende Informationen über schreiblandschaftliche und damit auch
dialektale Variation in dieser Sprachperiode bietet. Dies hängt damit zusammen, dass Urkunden im
Gegensatz zu vielen anderen historischen Dokumenten in der Regel genau datier- und lokalisierbar
sind. Ich diskutiere und evaluiere zwei Methoden, um an raumbezogene Informationen zu kommen,
nämlich (1) Reguläre Ausdrücke (RegEx), und zwar auf Grundlage der Graphievarianten, die im
Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache (WMU 1–3) verzeichnet sind, und (2)
Abfragen auf Basis von automatischen morphosyntaktischen Annotationen, die mittels des
RNNTaggers vorgenommen wurden (Becker und Schallert 2021; Schmid 2019).
Areale Variationsmuster sind unverzichtbar, um ein tieferes Verständnis feinskalierter
grammatischer Variation zu bekommen (Weinreich 1954; Bresnan et al. 2007) und um die Diffusion
sprachlicher Innovationen nachzuvollziehen (Nerbonne 2010). Dies betrifft im Speziellen Layering-
Effekte, die sich bei Grammatikalisierungsprozessen zeigen, bei denen konkurrierende
Strukturvarianten unterschiedliche Verteilungsmuster zeigen (Hopper 1991; Girnth 2000). Darüber
hinaus sind Urkunden sehr nützlich, um Handschriften zu lokalisieren, deren Provenienz unklar
und/oder umstritten ist (siehe z.B. Fleischer 2019, der zeigt, dass schon die 100 frequentesten
Wortformen eines Textes eine generelle Zuordnung ermöglichen).
Literatur
Becker, Carsten und Oliver Schallert (2021): Areal variation in Middle High German: A perspective
from charters. In: North-Western European Language Evolution [NOWELE] 74(2): 199–241.
Bresnan, Joan, Ashwini Deo und Devyani Sharma (2007): Typology in variation: a probabilistic
approach to be and n’t in the Survey of English Dialects. In: English Language and Linguistics
11(2): 301–346.
[CAO 1–5:] Wilhelm, Friedrich [et al.] (Hgg.) (1932–2004): Corpus der altdeutschen
Originalurkunden bis zum Jahr 1300. Lahr, Berlin: Erich Schmidt Verlag [5 Bde.].
Fleischer, Jürg (2019): Zur sprachlichen Einordnung mittelhochdeutscher Zeugnisse.
Grundsätzliche und quantitative Explorationen anhand der „Kaiserchronik“-Überlieferung. In:
Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 148(2): 258–284.
Girnth, Heiko (2000): Untersuchungen zur Theorie der Grammatikalisierung am Beispiel des
Westmitteldeutschen. (Reihe Germanistische Linguistik; 223). Tübingen: Niemeyer.
Hopper, Paul J. (1991): On some principles of grammaticalization. In: Elisabeth C. Traugott and
Bernd Heine (Hgg.): Approaches to grammaticalization. Bd. 1: Focus on theoretical and
methodological issues: 17–35. (Typological Studies in Language; 19.1). Amsterdam,
Philadelphia: Benjamins.
Nerbonne, John (2010): Measuring the diffusion of linguistic change. In: Philosophical Transactions
of the Royal Society B: Biological Sciences 365: 3821–3828.
Schmid, Helmut (2019): Deep Learning-Based Morphological Taggers and Lemmatizers for
Annotating Historical Texts. In: DATeCH2019 – Proceedings of the 3rd International Conference
on Digital Access to Textual Cultural Heritage: 133–137.
Weinreich, Uriel (1954): Is a structural dialectology possible? In: Word 10: 388–400.
[WMU 1–3:] Kirschstein, Bettina [et al.] (Hgg.) (1994–2010): Wörterbuch der mittelhochdeutschen
Urkundensprache; auf Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr
1300. Berlin: Erich Schmidt Verlag [3 Bde.].
Info
Tag:
25.03.2022
Anfangszeit:
17:00
Dauer:
01:00
Raum:
PlenumRaum
Track:
Keynotes
Sprache:
de
Links:
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