Vortrag: Interaktionale Diskursanalyse und Ethnografie in der empirischen Unterrichtsforschung
Ein Vorschlag für einen holistischen Zugang zu Feld und Analyse
Gelebte Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer stellt ein Thema fortwährender gesellschaftlicher Relevanz dar. Kinder haben unterschiedliche und unterschiedlich viele Erstsprachen, die nicht unbedingt mit der Unterrichtssprache übereinstimmen müssen. Besonders im Fall des Fremdsprachenunterrichts kann ein zusätzlicher Aspekt der Komplexität zur Dynamik hinzukommen.
Wie lässt sich an Dynamiken dieser Art sprachwissenschaftlich herantreten? Wie kann man solche mehrsprachigen Situationen verstehen, ohne sie zu simplifizieren? Wie kann man Herausforderungen und Probleme, die in derartigen Settings entstehen, ganzheitlich fassen und sinnvolle Lösungsvorschläge finden? Inwiefern kann die Angewandte Linguistik überhaupt einen Beitrag leisten, um solchen Tatsachen analytisch gerecht zu werden? Mit meiner Präsentation möchte ich eine Antwort für diese Fragen bieten und für einen ethnografischen Ansatz (vgl. etwa Hymes 1977) plädieren. Zudem wird illustriert, wieso die Kombination mit der interaktionalen Diskursanalyse (vgl. etwa Quasthoff 2021) eine logische Symbiose für den Kontext von Unterrichtsforschung ist.
Bei der interaktionalen Diskursanalyse handelt es sich um einen gesprächsanalytisch beeinflussten Ansatz, dem es durch rekonstruktives und ethnomethodologisches Vorgehen gelingt, soziale Tatsachen zu erkennen, die sich in den Interaktionsprozessen manifestieren, da er annimmt, dass die meisten Aktivitäten gesellschaftlichen Zusammenlebens sprachlich und „im Rahmen diskursiver Praktiken“ geschehen (vgl. Quasthoff, Heller & Morek 2021: 23-24). Diese Annahme stimmt mit linguistisch geprägten Formen der Ethnografie überein, die ebenfalls davon ausgeht, dass „[m]eaning takes shape within specific social relations, interactional histories and institutional regimes, produced and construed by agents with expectations and repertoires“ (Rampton 2007: 585). Sprache und Sprechen wird in ethnografischen Vorgehensweisen niemals als kontextloses Phänomen wahrgenommen (vgl. Blommaert & Jie 2010: 7), sondern als integraler Bestandteil des Selbst und der Positionierung des Selbst in allen gesellschaftlichen Umgebungen (vgl. Rampton 2007: 585), so auch in der Schule, die Kinder in der Entwicklung ihres Selbst maßgeblich prägt. Ein analytisches Vorgehen anhand der interaktionalen Diskursanalyse, die zu klassischen gesprächsanalytischen Ansätzen (vgl. Seedhouse 2005) die Situiertheit, Kontextgebundenheit und den institutionellen Charakter von Kommunikation stärker mitdenkt, ergänzt also neben den weitergehenden theoretischen Übereinstimmungen ein ethnografisch-epistemologisches Programm (vgl. Blommaert 2005) ideal.
Mein Beitrag ist ein Vorschlag für die Analyse mehrsprachiger Klassenzimmer mit besonderem Fokus auf den Fremdsprachenunterricht, in dem die Unterrichtssprache unter anderem die Zweitsprache für viele Schüler:innen darstellt. So möchte ich zeigen, dass ein ganzheitlicher Zugang zum Feld wie auch in der Analyse essentiell für die Problemlösung ist.
Literatur
Blommaert, Jan. 2005. Bourdieu the ethnographer: the ethnographic grounding of habitus and voice. The translator 11(2). 219–236.
Blommaert, Jan & Dong Jie. 2010. Ethnographic fieldwork: A beginner’s guide. Buffalo Bristol: Multilingual Matters.
Hymes, Dell. 1977. Foundations in sociolinguistics: an ethnographic approach. London: Tavistock.
Quasthoff, Uta. 2021. Methodische Überlegungen zur Datenbasis in der Interaktionalen Diskursanalyse: Grundlegendes zur Erhebung von Stichproben und Korpora. In Uta Quasthoff, Vivien Heller & Miriam Morek (Hgg.), Diskurserwerb in Familie, Peergroup und Unterricht: Passungen und Teilhabechancen. 43–76. Berlin & Boston: De Gruyter.
Quasthoff, Uta, Vivien Heller & Miriam Morek. 2021. Diskurskompetenz und diskursive Partizipation als Schlüssel zur Teilhabe an Bildungsprozessen: Grundlegende Konzepte und Untersuchungslinien. In Uta Quasthoff, Vivien Heller & Miriam Morek (Hgg.), Diskurserwerb in Familie, Peergroup und Unterricht: Passungen und Teilhabechancen. 13–34. Berlin & Boston: De Gruyter.
Rampton, Ben. 2007. Neo-Hymesian linguistic ethnography in the United Kingdom. Journal of Sociolinguistics 11(5). 584–607.
Seedhouse, Paul. 2005. Conversation Analysis and language learning. Language Teaching 38(4). 165–187.
Info
Tag:
05.11.2022
Anfangszeit:
10:45
Dauer:
00:30
Raum:
Wiwi-Bunker —Room 3018
Track:
Sociolinguistics
Sprache:
de
Links:
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ReferentInnen
Laura Levstock |