Vortrag: Zeit, Tempus und Temporalität

Kognitive Modellierung und Versprachlichung von Vergangenem im Französischen und Deutschen

Der Fokus des Beitrags liegt auf den theoretischen Vorüberlegungen zu einer kontrastiven Analyse des semantischen Phänomens 'Temporalität'. Eine paradigmenübergreifende Herangehensweise erlaubt den Nachvollzug der Versprachlichung zeitlicher Verhältnisse auf kognitiver, tiefensemantischer und konkreter einzelsprachlicher Ebene.

Alles eine Frage der Perspektive: Die Welt scheint strukturiert durch Raum und Zeit. Dass Raum und Zeit selbst keine absoluten Größen sind, zeigte Albert Einstein in seiner Relativitätstheorie. Demnach können wir Raum und Zeit nur mithilfe unserer eigenen Bewegung begreifen, also relativ zu unserer eigenen Existenz. Sprache erlaubt es uns, die Welt aus unserer subjektiven, individuellen Perspektive heraus zu artikulieren; indem wir über Sprache verfügen, können wir also unsere eigene ergo relative Wahrnehmung jener per se relativen Dimensionen der Welt modellieren. Aus Sicht der Kognitiven Linguistik lassen sich Raum und Zeit als kognitive Basisdomänen beschreiben, Grundkonstituenten der Welterfahrung und ihrer Artikulation. Darüber, wie das kognitive Konzept ‚Zeit‘ in die sprachliche Kategorie ‚Temporalität‘ eingefasst wird, kann eine kontrastive Analyse, exemplifiziert am Französischen und Deutschen, genaueren Aufschluss geben. Der Fokus des Beitrags soll dabei auf den theoretischen Vorüberlegungen zu einer solchen Analyse liegen. Für den Nachvollzug der Modellierung von Zeit auf kognitiver und tiefensemantischer Ebene birgt eine paradigmenübergreifende Herangehensweise besonderen Erkenntnisgewinn. Im Zentrum stehen dabei Louis Hjelmslevs Konzeption des sprachlichen Zeichens, Noam Chomskys Suche nach einer Universalgrammatik und Ronald W. Langackers Konzeption des grounding. Diese breite Perspektive verdeutlicht, dass die Art und Weise der sprachlichen Gestaltung nicht a priori durch ein fixes grammatisches Regelsystem vorbestimmt ist; vielmehr ermöglicht eine Bandbreite unterschiedlicher Realisierungsstrategien dem Sprecher die Wahl derjenigen, die von seiner subjektiven – relativen – Warte aus die Wirklichkeit am besten wiedergibt. Zur Versprachlichung von Temporalität stehen neben dem jeweiligen Tempussystem der untersuchten Sprachen auch Temporaladverbiale sowie Prinzipien der Textkomposition und temporale Konnektoren zur Verfügung. Ihr Zusammenspiel erlaubt nicht nur die Unterscheidung von Tempusstufen, sondern insbesondere auch eine präzisere Ausdifferenzierung des Vergangenen bzw. „Erzählten“. Um diese Relationen zwischen kognitiver Verankerung und den Repräsentationsmöglichkeiten in verschiedenen Sprachen sichtbar zu machen, wird abschließend unter Rückgriff auf Harald Weinrichs Konzeption von Tempusperspektiven und Tempuswechseln ein entsprechendes Analyseraster vorgestellt.

Info

Tag: 27.10.2023
Anfangszeit: 11:30
Dauer: 00:25
Raum: NIG Raum 1
Track: Diverse
Sprache: de

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