Vortrag: Metapragmatik: Linguistik an den Schnittstellen zwischen Sprachsystem, Sprachgebrauch und Gesellschaft

Dass ‚Reflexivität‘ – die Möglichkeit, sich auf sich selbst beziehen zu können – eine wesentliche Eigenschaft, vielleicht sogar ein „design feature“ (Hocket 1963: 10) menschlicher Sprache und Kommunikation ist, ist in der Sprachwissenschaft, Sprachphilosophie und Sprachanthropologie weithin diskutiert worden (vgl. etwa Jakobson [1955] 1971; Lucy 1993; Taylor 2000). Reflexivität ermöglicht es, Sprache zu kontextualisieren, das heißt, potenziell unterspezifizierte bzw. ambige sprachliche Zeichen im Kontext zu verankern und sie damit für Kommunikationsakteur:innen deutbar und letztlich nutzbar zu machen (Silverstein 1993: 36f.). Sie ermöglicht darüber hinaus aber auch, dass Sprache mehr werden kann als ein Werkzeug, „um einer dem anderen etwas mitzuteilen über die Dinge“ (Bühler [1934] 1999: 24) – das heißt, dass sie über die referenzielle Funktion hinaus insbesondere auch zahlreiche und mächtige soziale Funktionen haben kann, etwa im Zusammenhang mit Identifizierungs- und Positionierungsprozessen (man denke rezent nur an die Debatte um gendersentitiven Sprachgebrauch). Und schließlich wirkt Reflexivität auch umgekehrt zurück vom Sprachgebrauch auf das Sprachsystem:

„it is not simply that conversation cannot proceed without the metalinguistic function [i.e., reflexivity; JS], but that language itself would collapse without it. For not only is the metalinguistic function important for negotiating the individual exchange, it is also vital for keeping alive the consensual basis for the ‘rules’ of language by which any discourse community operates.“ (Seargeant 2009: 358)

Aufgrund dieser eminenten Bedeutung von Reflexivität konstatiert Silverstein (1985), dass der Gesamtgegenstand der Sprachwissenschaft („the total linguistic fact“) gerade in der Verbindung und Wechselwirkung von Sprachsystem, Sprachgebrauch und Sprachreflexion bestehe: Statt nur das System, nur den Gebrauch oder nur die Bewertung von Sprache in den Blick zu nehmen, müssten deren Zusammenhang und Interferenzen erklärt werden, wenn die Sprachwissenschaft erklären möchte, wie Sprache verwendet wird, sich verändert und gesellschaftlich wirkt.

Die von Silverstein initiierte Metapragmatik setzt sich genau dies zur Aufgabe. In diesem Vortrag werden die Grundideen und wesentliche Grundkonzepte dieses Zugangs vorgestellt und diskutiert. Insbesondere die Rolle von Sprachreflexion (bzw. Sprach- und Kommunikationsideologien) in dieser Dreiecksbeziehung und ihre Bedeutung als Bindeglied zwischen Sprachsystem, Sprachgebrauch und Gesellschaft steht dabei im Mittelpunkt.

Literatur
Bühler, Karl. 1999. Sprachtheorie: Die Darstellungsfunktion der Sprache. Stuttgart: Lucius & Lucius [zuerst: Jena: Fischer 1934].
Hocket, Charles F. 1963. The problem of universals in language. In: Joseph H. Greenberg (Hg.): Universals in Language. Cambridge, MA: MIT Press, 1–29.
Jakobson, Roman. 1971. Shifters, verbal categories, and the Russian verb. In: Selected Writings. Bd. 2: Word and Language. Berlin, 130–147 [zuerst: Harvard 1955].
Lucy, John A. (Hg.). 1993. Reflexive Language: Reported Speech and Metapragmatics. Cambridge: Cambridge University Press.
Seargeant, Philip. 2009. Language ideology, language theory, and the regulation of linguistic behaviour, Language Sciences 31: 345–359.
Silverstein, Michael. 1985. Language and the culture of gender: At the intersection of structure, usage, and ideology. In: Elizabeth Mertz & Richard J. Parmentier (Hgg.): Semiotic Mediation: Sociocultural and Psychologic Perspectives. Orlando: Academic Press, 219–259.
Silverstein, Michael. 1993. Metapragmatic discourse and metapragmatic function. In: Lucy (1993), 33–58.
Taylor, Talbot J. 2000. Language constructing language: the implications of reflexivity for linguistic theory, Language Sciences 22(4): 483–499.

Info

Tag: 26.10.2023
Anfangszeit: 17:30
Dauer: 01:05
Raum: Hofburg Raum 1
Track: Applied Linguistics
Sprache: de

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