Version v0.8
Lecture: Der spanische Varietätenraum aus der Sicht deutscher Muttersprachler
Minderheitensprachen und Dialekte erfahren – quasi gegenläufig zur uniformierenden Globalisierung und dem Rückgang bzw. der Nivellierung von Dialekten – bereits seit einigen Jahren eine zunehmende Wertschätzung. Gleichzeitig bilden sich scheinbar widersprüchlich zur tendenziellen Vereinheitlichung von Standardsprachen regionale Standardformen heraus, die unter Plurizentrik zunehmend auch für die romanischen Sprachen diskutiert werden. Die Bedeutsamkeit von Standard und Norm einerseits und der Variation von Sprache andererseits für die Sprechergemeinschaft zeigt sich nicht nur in lebhaften Alltagsdiskursen, sondern auch in der Forschung. Allerdings ist erst in neuerer Zeit mit Ansätzen der Folks Linguistics oder der Perzeptiven Varietätenlinguistik zur Untersuchung und Beschreibung sprachlicher Variation immer mehr der aktive Sprecher-Hörer als linguistischer Laie in den Fokus gerückt. Bisher war dabei jedoch der Schwerpunkt vor allem auf die Wahrnehmung durch Teilnehmer derselben Sprachgemeinschaft beschränkt, während der Nicht-Muttersprachler weitgehend ausgeblendet blieb. Die folgende Untersuchung soll einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke zu leisten, indem sie auf Grundlage der perzeptiven Varietätenlinguistik (Krefeld/Pustka 2010) und der Akzentforschung (Boula de Mareüil 2004; Ruß 2012) unter Einbezug der Standardsprachen- (Lebsanft/Tacke 2020) bzw. Plurizentrikforschung (Lebsanft 2012) Perzeption und Repräsentationen von spanischen Varietäten durch L1-Sprecher/- innen des Deutschen mit fortgeschrittener Spanisch-Kompetenz analysieren und modellieren soll. Für das Forschungsziel sollen mit geeigneten empirischen Methoden (Befragungen, Beobachtungen, Reproduktionen, Experimente) folgende experimentellen Fragen untersucht werden:
* Wie und aufgrund welcher Kriterien und Charakteristika schätzen die Probanden (P.)das Spanische generell in seinen Erscheinungsformen ein, welche Vorstellungen und affektiven Einstellungen verbinden sie mit dem Spanischen v.a. hinsichtlich dem Akzent/Klangbild – im Vergleich zu anderen Sprache und v.a. dem Deutschen?
* Welches Wissen haben die P. zu möglichen Einteilungen und Benennungen desspanischen Varietätenraums? Welche Einstellungen und Bewertungen verbinden sie mit den Varietäten? Welche (außer-)sprachlichen Kriterien und Merkmale spielen für die wahrgenommenen Akzente eine Rolle?
* Wie beurteilen die P. spanische Varietäten/Akzente in Hinblick auf die Norm/denStandard und welche Modelle können eher, welche weniger als normatives Vorbild gelten? Wie ordnen die P. sich selbst im spanischen Varietätenraum ein und an welchen Normen orientieren sie sich – und woran möglichweise gerade nicht? Inwiefern schreiben sie sich selbst einen eigenen Akzent zu?
* Wie nehmen die P. ihnen vorgespielte sprachliche Stimuli verschiedenerVarietätensprecher/-innen wahr? Welche Merkmale gelten als salient und wie werden diese beschrieben, identifiziert, kategorisiert sowie (subjektiv) bewertet und wie werden diese für die Zuordnung zum Varietätenraum herangezogen und hinsichtlich dem/den (vermeintlichen) exemplarischen Spanisch(s) beurteilt?
Ziel der Arbeit soll es sein, in einer möglichst holistischen und explorativen Herangehensweise ein systematisches Erklärmodell zur Fremdwahrnehmung (Heterorepräsentationen und -perzeptionen) des Spanischen zu liefern, dieses mit bestehenden Studien zur Eigenwahrnehmung abzugleichen und dabei die Besonderheiten der Faktoren und Bedingungen (z.B. muttersprachliche Einflüsse, Widersprüche zwischen Perzeption und Repräsentation, Zusammenspiel der (supra-)segmentalen Merkmale, sprachliche/kulturelle Mythen) herausarbeiten. Neben der Ausrichtung auf aktuelle variationslinguistische, normative und plurizentrische Aspekte sollen auch Anschlussmöglichkeiten für die Fremdsprachendidaktik des Spanischen eröffnet werden.
Literatur
Boula de Mareüil, Philippe / Marotta, Giovanna / Adda-Decker, Martine (2004): Contribution of Prosody to the Perception of Spanish/Italian accents“. In: Speech Prosody 2004. Nara: ISCA, 681–684.
Krefeld, Thomas / Pustka, Elissa (eds.) (2010): Perzeptive Varietätenlinguistik. Frankfurt a.M.: Lang.
Lebsanft, Franz (ed.) (2012): El español, ¿desde las variedades a la lengua pluricéntrica? Frankfurt a. M.: Vervuert.
Lebsanft, Franz / Felix Tacke (Hrsg.) (2020): Manual of Standardization in the Romance Languages. Berlin/Boston: De Gruyter
Ruß, Aline (2012): Franzose, Pole, Spanier oder Italiener? Eine perzeptionslinguistische Studie über die Identifizierungssystematiken deutscher Muttersprachler gegenüber fremdsprachlichen Akzenten. Stuttgart: ibidem.
Info
Day:
2021-09-24
Start time:
13:30
Duration:
00:40
Room:
Don Giovanni
Language:
de
Links:
Concurrent Events
Speakers
Jonas Heimann | |
Karoline Wurzer |