Lecture: "Ey jo, und, wie fandest du gestern Schule?"

Über die Sprache von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Graz

Gegenstand dieses Vortrags ist die Sprache von Jugendlichen in der Stadt Graz, wobei besonderer Fokus auf mehrsprachigen Jugendlichen liegt. Ziel ist es,, Ähnlichkeiten mit der Varietät Kiezdeutsch in Deutschland herauszuarbeiten und den Einfluss der Herkunftssprachen im Sprachgebrauch zu untersuchen. Bei der Varietät der Jugendlichen in Graz ließen sich Parallelen zum Kiezdeutsch wie grammatische Reduktion und abweichende Kongruenz feststellen. Auf phonetischer Ebene zeigte sich teilweise der Einfluss der Herkunftssprache.

„[Er] hat so ein ehrenlosen Move gemacht“, „weil die wohnt gleich Hauptbahnhof“, „ich bin
hyped, Digga“ und Co. – diesen und ähnlichen Phrasen begegnet man an Grazer Bahn- und
Schulhöfen oder in der Straßenbahn des Öfteren. Meist hört man sie von Jugendlichen in multikulturellen Gruppen. Im Vorbeigehen mag das nach „falschem“ oder „gebrochenem“ Deutsch
klingen. In Deutschland weiß man, diese Ausdrücke sind typisch für Kiezdeutsch, auch „Kanak
Sprak“ genannt, eine Varietät, die sich in urbanen Regionen Berlins mit hohem Migrationsanteil herausgebildet hat. Kiezdeutsch wird im Allgemeinen als ethnolektaler Sprachstil von jugendlichen Sprecher:innen unterschiedlicher ethnischer und sprachlicher Hintergründe verstanden (vgl. Wiese 2007: 3). Während es in Deutschland und anderen europäischen Ländern
wie Schweden, den Niederlanden und Dänemark bereits umfangreiche Studien rund um die
Sprache migrantischer Jugendlicher in urbanen Settings gibt (siehe dazu z. B. Wiese 2007,
Henschke 2008, Kotsinas 1992, Fraurud 2003, Appel 1999, Nortier 2001, Quist 2000), fehlt
eine solche Erhebung in Österreich bislang gänzlich. Anlass für unsere Pilotstudie ist daher
der mangelnde österreichische Forschungsstand zu diesem Thema. Orientiert an deutschen
Studien beschäftigt sich unser Projekt mit der Frage, ob es in Graz eine vergleichbare Varietät
zum Kiezdeutschen gibt.
Die Datengrundlage für die Analyse bilden neun spontansprachliche Aufnahmen von 14- bis
19-jährigen mehrsprachigen Jugendlichen aus Graz. Die transkribierten Daten werden auf
morphosyntaktische sowie lexikalische Besonderheiten untersucht. Eine akustische Auswertung in PRAAT liefert außerdem Ergebnisse rund um die Realisierung von ausgewählten Frikativen sowie vom Diphthong /au/ – diese Analyse soll zeigen, ob die jeweils andere Sprache
(bzw. Sprachen) auch phonetisch-phonologische Veränderungen im Deutschen bewirkt.

Der Vortrag thematisiert die gegenwärtige Migrations- und Jugendsprache in Graz und versucht dabei, zum einen Übereinstimmungen mit dem deutschen Phänomen Kiezdeutsch herzustellen und zum anderen aufzuzeigen, inwiefern die anderen Sprachen der jugendlichen
Sprecher:innen Einfluss auf die deutsche Varietät nehmen. Es zeigt sich, dass Parallelen zum
Kiezdeutschen bestehen, wie Code-Switching und grammatische Reduktion, und dass die
Phonetik von den Herkunftssprachen beeinflusst sein kann.

[Vortragssprache: Deutsch]

Bibliographie
Appel, René. 1999. Straattaal: De mengtaal van jongeren in Amsterdam. Toegepaste Taalwetenschap in Artikelen 62 (2), 39–55.
Fraurud, Kari. 2003. Svenskan i Rinkeby och andra flerspråkiga bostadsområden. In
Torbjørg Breivik (Hrsg.), Språk i Norden, 62-89. Oslo: Novus Forlag.
Henschke, Christina. 2008. KANAK SPRAK: Eine ethnolektale Jugendsprache. Grazer Linguistische Studien 70, 33–54.
Kotsinas, Ulla-Britt. 1992. Immigrant adolescents’ Swedish in multicultural areas. In Cecilia
Palmgren, Karin Lövgren & Göran Bolin (Hrsgg.), Ethnicity in Youth Culture, 43–62. Stockholm: Stockholms Universitet.
Nortier, Jacomine. 2001. „Fawaka, what’s up?“ Language use among adolescents in Dutch
mono-ethnic and ethnically mixed groups“. In Anne Hvenekilde & Jacomine Nortier (Hrsgg.),
Meetings at the Crossroads. Studies of Multilingualism and Multiculturalism in Oslo and Utrecht, 61–73. Oslo: Novus Forlag.
Quist, Pia. 2000. Ny københavnsk 'multietnolekt': Om sprogbrug blandt unge i sprogligt og
kulturelt heterogene miljøer. Danske Talesprog 1, 143–211.
Wiese, Heike. 2007. Grammatische Reduktion und informationsstrukturelle Präferenzen in
einer kontaktsprachlichen Varietät des Deutschen: Kiezdeutsch. URL: http://www.sfb632.uni-potsdam.de/downloads/projects/2phase/b6_p2.pdf [zuletzt aufgerufen am 28.01.2023