Lecture: Ostoberdeutsche Reflexe im Hexenverhörprotokoll Fürsteneck 1703

Im Vortrag werden die Ergebnisse der linguistischen Analyse des Hexenverhörprotokolls Fürsteneck 1703 im Rahmen einer Bachelorarbeit vorgestellt. Die Untersuchung fokussiert ostoberdeutsche, also bairische Sprachmerkmale im Text. Dabei werden einerseits graphematische Charakteristika der regionalen Schriftsprache sowie andererseits diskursspezifische Zeugnisse historischer Mündlichkeit herausgestellt.

Hexenverhörprotokolle sind die schriftliche Dokumentation von originär mündlichen Kommunikationssituationen. Somit stellen sie ein „Fenster zur Mündlichkeit“ (Macha 2003: 182) dar, welches die Möglichkeit bietet, zumindest sekundär historische Mündlichkeit analysieren zu können, da medial mündliche Quellen historischer Sprache nicht existieren. Doch auch Verhörprotokolle dürfen keinesfalls als direktes Abbild des realiter Gesagten aufgefasst werden, vielmehr sind die Texte als juristisch zweckgebundenes, von Gerichtsschreibern ge- und überformtes Produkt zu verstehen, das in vielen Fällen bewusst manipuliert worden ist.

Um zwischen Merkmalen der Überformtheit der Textsorte, regionaler Schreibtradition und genuinen Reflexen gesprochener Sprache unterscheiden zu können, werden sowohl ostoberdeutsche Schriftsprachmerkmale, das Modell der Nähe- und Distanzsprache nach Koch/Oesterreicher (1985) sowie Textsortenspezifika vorgestellt. Dabei kommt der Textstruktur besondere Beachtung zu, da die verschiedenen Textebenen in signifikant unterschiedlichem Maße gesprochensprachliche Merkmale aufweisen. Die Betrachtung ausgewählter Beispiele aus dem Hexenverhörprotokoll demonstriert, wo die Verortung sprachlicher Phänomene in die angeführten Kategorien an ihre Grenzen stößt und inwieweit sie Erkenntnisse liefern kann.

Literatur (Auswahl):
Koch, Peter & Oesterreicher, Wulf (1985): Sprache der Nähe - Sprache der Distanz: Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. Romanistisches Jahrbuch 36, 15–43.
Macha, Jürgen (2003): Regionalität und Syntax: Redewiedergabe in frühneuhochdeutschen Verhörprotokollen. In: Berthele, Raphael (Hrsg.): Die deutsche Schriftsprache und die Regionen. Entstehungsgeschichtliche Fragen in neuer Sicht, 181–202. Berlin, New York: de Gruyter.
Macha, Jürgen (2010): Grade und Formen der Distanzsprachlichkeit in Hexereiverhörprotokollen des frühen 17. Jahrhunderts. In: Ágel, Vilmos & Hennig, Mathilde (Hrsg.): Nähe und Distanz im Kontext variationslinguistischer Forschung, 135–153. Berlin: de Gruyter.
Reiffenstein, Ingo (2003): Aspekte einer bayerischen Sprachgeschichte seit der beginnenden Neuzeit. In: Besch, Werner et al. (Hrsg.): Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 3. Teilband, 2. Aufl., 2942–2970. Berlin: de Gruyter.
Schmeller, Johann Andreas (1821): Die Mundarten Bayerns: grammatisch dargestellt. München: Thienemann.
Topalović, Elvira (2003): Sprachwahl - Textsorte - Dialogstruktur: Zu Verhörprotokollen aus Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts. Trier: WVT Wiss. Verl. Trier.
Weinhold, Karl (1980): Bairische Grammatik. 2. Nachdr. Berlin 1867. Nendeln/Liechtenstein: Kraus Repr.

Info

Day: 2023-05-27
Start time: 15:50
Duration: 00:30
Room: SH 0.106
Track: Typology and Variational Linguistics

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